Berliner Grünen-Politiker begrüßt Gewalt gegen das "rassistische System"

Stand: 01.03.2021

Von Marcel Leubecher

Politikredakteur

Ein Grünen-Vorstand in Berlin-Mitte rief Schwarze zur Formierung "robuster Communitys" auf, "um nicht mehr die Polizei rufen zu müssen". Aufstände und Plünderungen seien legitimer Widerstand gegen "rassistische Institutionen". WELT sagt er, wie das zu verstehen sei.

Jeff Kwasi Klein, Vorstandsmitglied der Grünen im Kreisverband Berlin-Mitte, hat physische Gewalt als geeignete Protestform gewürdigt. Außerdem rief er zur Bildung "robuster" Gruppen auf, um nicht mehr auf die Polizei angewiesen zu sein.

Jeff Kwasi Klein
Quelle: kwasi_jeff/instagram

In einer auf Instagram abrufbaren Rede appellierte der Politiker an seine als "schwarze Geschwister" angesprochenen Zuhörer. Am Sonntag kursierte ein Ausschnitt der Rede Kleins auf Twitter. "Es ist wichtig, dass wir uns organisieren, es ist wichtig, dass wir uns nicht auf den Staat verlassen, sondern verbindliche und robuste Community-Strukturen aufbauen, um nicht mehr die Polizei rufen zu müssen, wenn wir Hilfe brauchen", sagte der Grüne bei dem Auftritt im Mai. "Denn starke Communitys brauchen keine Polizei, denn die Polizei ist nicht für uns da, sie ist für die Gewalt in unserem Leben verantwortlich."

Klein hielt seine Rede am Rande einer Demonstration gegen Polizeigewalt. Zuvor kam es in mehreren US-Städten zu Ausschreitungen und Plünderungen, nachdem der Afroamerikaner George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz getötet worden war. Der Grünen-Politiker rief der Menge in Berlin zu: "Wir werden niemals aufhören, unserer Wut Gehör" zu verschaffen, "selbst wenn es bedeutet, dass dabei ein paar Dinge kaputtgehen wie ihre Fenster, ihre Selbstgefälligkeit, ihre Ignoranz und ihr Gefühl von Sicherheit". Denen "in Deutschland, die behaupten, dass sich die Proteste durch die Ausschreitungen delegitimieren, sage ich unmissverständlich: Haltet eure Fresse!"

Klein distanziert sich auf WELT-Anfrage nicht von seinen Äußerungen und rechtfertigt sie so: "Meine Rede war eine Reaktion auf die rassistische Ermordung von George Floyd in den USA. Es ist in den USA zu Plünderungen gekommen, aber der Großteil der Proteste ist friedlich verlaufen beziehungsweise gestartet und wurde dann gewaltsam unterdrückt. Selbst wenn es zu Ausschreitungen kam, delegitimiert das nicht den gesamten Protest gegen Polizeigewalt."

Weiter sagt der Grünen-Politiker: "Ich weise komplett zurück, dass ich Gewalt legitimiere. Mit robusten Communitys meine ich natürlich keine Banden, sondern, dass wir eigene Unternehmen, schwarze Geschäfte, soziale Beratungsstellen und Vereine aufbauen. In Fällen von Diskriminierung und Gewalt durch Polizei oder Behörden könnten schwarze Menschen dann zu einer Beratungsstelle gehen, um Rechtshilfe zu erhalten, anstatt die Polizei zu rufen."

"Rassistische Systeme, die uns bis heute den Atem nehmen"

Klein rief bei seiner Rede damals weiter: "Ihr beschwert euch über die Riots (Unruhen; d. Red.) und über die Plünderungen und versteht nicht, dass dies organisierter Widerstand ist. Gegen ein rassistisches System, das nur dann zuhört, wenn es sich physisch oder finanziell bedroht fühlt." Wer sich über den Krawall und die Plünderungen beschwere, verstehe nicht, "dass schwarze Körper und Körper von People of Colour (dunkelhäutige Menschen), unsere Länder, unsere Bodenschätze, unsere Kultur und Identitäten, unsere körperliche und mentale Gesundheit seit 500 Jahren geplündert" werden. Vor "mehr als 500 Jahren" seien "europäische Barbarinnen auf ihren Raubzug durch die Welt gegangen und haben rassistische Systeme aufgebaut, die uns bis heute den Atem nehmen", sagte der Grünen-Politiker, der beruflich in einem Förderprojekt für schwarze Teenager tätig ist, das vom Familienministerium über das Programm "Demokratie leben" finanziert wird.

Von der Gesellschaftsordnung, die Kleins Beschäftigung durch Steuermittel ermöglicht, hält Klein nicht viel. In seiner Rede schilderte er seine Perspektive auf Geschichte und Gegenwart der westlichen Welt so: "Auf Imperialismus und transatlantischem Sklavenhandel folgten Kolonialismus, Kapitalismus und Faschismus. Darauf folgten Neoliberalismus und die angeblich liberalen Demokratien mit ihrem Neokolonialismus, Gettoisierung, ,mass incarceration' (Masseninhaftierung), kapitalistische Ausbeutung. Das System der Schande und des Todes hat seine heuchlerische Fratze schon lange für uns alle gut sichtbar gemacht."

Klein, der auch Vorstandsmitglied des Migrationsrates Berlin ist und in einer Antidiskriminierungsstelle arbeitet, appellierte an die "schwarzen Geschwister": "Werdet aktiv, studiert Rassismus, versteht und dekonstruiert ihn." Und "unseren weißen Brüdern und Schwestern" rät er: "Ihr seid jetzt gefragt. Von eurem ,White Privilege'-Wahn aufzuwachen und zu sehen, was die Stunde geschlagen hat. Ihr habt eine besondere Verantwortung in dieser Sache. Weil dieses rassistische System mit ihren rassistischen Institutionen wie der Polizei zu euren Gunsten geschaffen wurde und ihr täglich davon profitiert. Ihr seid dafür verantwortlich, das Privileg abzustreifen, dass ihr seid eurer Geburt mit euch tragt." Der Grünen-Politiker bat seine weißhäutige Zuhörerschaft: "Kämpft mit uns, um dem 500 Jahre dauernden Krieg gegen schwarze Leben ein Ende zu setzen."

Eine WELT-Anfrage, ob Klein angesichts dieser Aussagen für Parteiämter geeignet sei, lassen die Grünen unbeantwortet.


Quelle: welt.de vom 01.03.2021